Dr. Jens Brandenburg

Plenarrede: Gesetz zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Tragen Sie eigentlich Damenunterwäsche? Erzählen Sie doch mal: Wie masturbieren Sie denn? – Fanden Sie das jetzt übergriffig? Solche Fragen müssen transgeschlechtliche Menschen in Deutschland beantworten, wenn sie beim Standesamt ihren personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde korrigieren lassen wollen. Nach dem Transsexuellengesetz brauchen sie dafür zwei unabhängige Gutachten und ein gerichtliches Verfahren. Das empfinden viele Betroffene zu Recht als demütigende Schikane.

Diese Verfahren sind teuer, sie belasten die Menschen in einer ohnehin schon schwierigen Lebenssituation, und sie sind unnötig. Sie sind unnötig, weil spätestens seit Öffnung der Ehe für alle und seit Aussetzung der Wehrpflicht ohnehin kaum noch rechtliche Konsequenzen mit diesem Geschlechtseintrag verbunden sind. Und sie sind unnötig, weil in all den Ländern – weltweit –, die sich längst von diesen Verfahren verabschiedet haben, es ge- rade nicht zu den oft beschworenen Falschangaben oder zum Hin- und Herwechseln des Geschlechtseintrags gekommen ist.
Auch in Deutschland kommt es nach dem Transsexuellengesetz und der langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei diesem Geschlechtseintrag gerade nicht auf das rein biologische Geschlecht an, sondern auf das subjektive Geschlechtsempfinden: die geschlechtliche Identität. Dafür gibt es keinen besseren Experten als den jeweiligen Menschen selbst. Deshalb muss die reine Selbstauskunft beim Standesamt auch ausreichen, und wir sollten das Transsexuellengesetz endlich abschaffen.

Vier Jahre lang hatten Sie in der Koalition – auch die SPD – Zeit gehabt. Es gab ja viele Versprechen, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Leider liegen momentan nur zwei Gesetzentwürfe vor: einer von uns Freien Demokraten und einer von den Grünen. Sie unterscheiden sich durch ganz wenige rechtliche Details und haben doch ganz, ganz viele Gemeinsamkeiten. Denn gemeinsam wollen wir die geschlechtliche Selbstbestimmung trans- und intergeschlechtlicher Menschen in Deutschland stärken – mit einer Abschaffung des Transsexuellengesetzes einerseits, aber andererseits auch mit einem Ausbau der Aufklärungs- und Beratungsangebote, mit einer Sicherung der medizinischen Versorgung und mit einem Schutz vor ungewollten Outings, beispielsweise durch öffentliche Behörden.

Ich weiß, dass heute auch viele transgeschlechtliche Jugendliche und ihre Familien dieser Debatte folgen, weil es in Deutschland vermutlich kaum ein anderes Gesetz gibt, das ihre persönliche Lebenssituation so stark beeinflusst und beeinträchtigt. Deshalb ist die Entscheidung, die wir heute treffen, so wichtig. In ihrem Alltag haben sie ohnehin schon viele Probleme: Was sagen die Nachbarn? Kann ich mich in der Schule outen? Dazu kommen die verbalen und körperlichen Übergriffe in vielen deutschen Großstädten, die gesellschaftliche Stigmatisierung, auch die vielen Hassiraden und auch die Verschwörungstheorien – wir haben eben eine Kostprobe bekommen, die wir immer wieder hören. Diese Probleme werden wir heute im Deutschen Bundestag nicht alle lösen. Aber wir können gemeinsam sicherstellen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre trans- und intergeschlechtlichen Bürger/-innen endlich so akzeptiert und respektiert, wie sie sind: mit ihrem Ge- schlecht und ihrer Selbstbestimmung.

Liebe Union und auch liebe SPD, enttäuschen Sie diese Menschen nicht.

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