Dr. Jens Brandenburg

Plenarrede: Jugend im Lockdown - Zeit für eine generationengerechte Krisenpolitik

 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lea war immer ein sehr fröhliches Kind. Sie ist seit Monaten ganz ruhig. Ihre Freundinnen hat sie lange nicht mehr gesehen. Seitdem ihr Vater in Kurzarbeit ist, streiten sich ihre Eltern ständig. Mit ihrem Bruder teilt sie sich ein kleines Zimmer. An die Zeit vor Corona kann sie sich kaum noch erinnern.

Finn liebt den Fußball. Ihm fehlt die Bewegung. Im Fernunterricht hat er völlig den Anschluss verloren. Die Kamera lässt er aus; dann fällt auch gar nicht auf, dass er gerade erst aufgestanden ist. Er ist sehr aggressiv in letzter Zeit.

Jonas ist sauer. Seinen 18. Geburtstag wollte er ganz groß feiern; daraus wird wohl nichts. Die Klubs sind ohnehin geschlossen. Seine Freunde trifft er nur noch zu Hause zum Zocken. Zum Abschlussball wollte er eigentlich Amira endlich fragen, ob sie mit ihm ausgeht. Der Ball ist abgesagt, und auch seinen großen Traum, das Auslandsjahr, kann er vergessen.

Mehmet macht eine Ausbildung im Reisebüro. Er kennt jedes Ziel und liebt es, Menschen in Urlaub zu schicken. Mit Stornierungen kennt er sich jetzt bestens aus. Sein Betrieb wird ihn im Sommer nicht übernehmen. Er hat keine Ahnung, wie es weitergeht.

Und Jana schmeißt ihr Studium hin, im dritten Semester. Biochemie findet sie eigentlich echt spannend, aber ihr fehlt jede Motivation. Sie ist sehr einsam in ihrem Studentenzimmer. Ihre Professoren und Kommilitonen kennt sie nur vom Bildschirm, wie ein schwarzes Loch. Ihren Nebenjob hat sie verloren, und jetzt wird sie wohl zu ihren Eltern zurückziehen.

Und die Bundesregierung? Die produziert fleißig Werbespots, in denen sie junge Menschen zum tapferen Herumgammeln auffordert. Es sei doch ganz leicht, ein Held zu sein. Der faule Tobi müsse einfach nur weiter zu Hause bleiben. Er solle einfach nichts tun und faul sein wie die Waschbären. - Alles Zitate. Was für ein zynisches Bild!

Über ein Jahr verpasste Jugendzeit ist keine Kleinigkeit. Lea, Finn, Jonas, Mehmet und Jana stehen für eine Generation, die in dieser Krise viel zu oft vergessen wird. Einsamkeit ist nicht nur in den Altersheimen ein Problem. Zwei von drei jungen Erwachsenen leiden massiv unter sozialer Isolation im Lockdown; das sind mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Jeder dritte Schüler ist inzwischen psychisch auffällig, häufig depressiv, und jeder sechste Schüler hat inzwischen regelmäßig Gedanken an Selbstmord. Das darf die Politik nicht ignorieren!

Den verpassten Abiball, das Gap Year und auch das erste Semester wird man nicht einfach später nachholen. Die junge Generation hat in dieser Krise viel geleistet und viel entbehrt, um die meist ältere Generation zu schützen.

Sie steht in der Impfreihenfolge ganz am Ende und wird die finanziellen Folgen dieser Krise tragen. Es geht dabei nicht um Jung gegen Alt, sondern es geht um Respekt und Verständnis für beide Seiten. 75 Prozent der Jugendlichen fühlen sich in der Coronapolitik völlig vergessen. Die Sorgen der Jugend sind kein Luxusproblem; sie gehören in das Zentrum der politischen Debatte.

Deshalb legen wir Freie Demokraten Ihnen heute 31 Vorschläge vor, um die Jugend im Lockdown zu stärken, darunter zum Beispiel eine realistische Öffnungsperspektive für Schulen und Hochschulen, ein Lern-Buddy-Programm zum Aufholen der vielen Lernrückstände, eine krisenfeste und elternunabhängige Studienfinanzierung, mehr Unterstützung bei psychischen Erkrankungen, eine konkrete Impfperspektive auch für Minderjährige, eine schrittweise Öffnung des Vereinssports, einen Coronajugendgipfel, eine generationengerechte Haushaltspolitik und vieles mehr.

Nehmen wir die mentale Gesundheit junger Menschen endlich genauso ernst wie ihre körperliche Gesundheit. Wenn schlecht belüftete Innenräume das eigentliche Problem sind, dann liegt die Lösung nicht in pauschalen Freiluftverboten. Mit guten Hygienekonzepten und Schnelltests sollten auch kleine Open-Air-Konzerte und gemeinsamer Sport im Freien wieder möglich sein.

Junge Menschen brauchen jetzt dringend eine Perspektive, wann und wie die soziale Dauerisolation im Lockdown ein Ende findet. Stellen wir uns gemeinsam dieser Verantwortung, und helfen wir der Jugend im Lockdown!

Vielen Dank.

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